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 Letzter Ausweg – Hunde-Internat 
(PARTNER HUND, Ausgabe Nr.6)

Die Verhaltenstherapeutin Heidi Reutlinger hat sich auf die Wiedereingliederung

schlecht sozialisierter und aggressiver Hunde spezialisiert.

Das erste halbe Jahr, nachdem Birgit Koszielski Nora aus dem Tierheim

geholt hatte, verhielt sich die Hündin ganz normal.

Doch zunehmend reagierte sie aggressiv, wenn jemand ihrem Frauchen

zu nahe kam. Bald wachte sie wie eine Furie über ihre Familie.

„Ich konnte nicht mal die Türe öffnen, ohne Nora wegzusperren

oder den Maulkorb anzulegen. Es war total stressig“, berichtet

Birgit Koszielski. Als sie nicht mehr weiterwusste, suchte sie fachmännische

Hilfe bei Heidi Reutlinger. Die Verhaltenstherapeutin für Tiere machte sich

vor Ort ein Bild und legte mit den Besitzern ein Therapieziel fest.
Im ersten Schulungsblock sollte die Aggression gegen Hunde, im zweiten

die gegen Menschen therapiert werden.
„Sind nicht die Hormone schuld, wird die Aggression gegen andere Hunde

zum Großteil durch Kommunikationsfehler gesteuert“, erläutert sie.

„Da Hunde wesentlich besser miteinander als mit uns Menschen kommunizieren,

sollte Nora daher erst lernen, wie diese Kommunikation funktioniert.“
Dazu wurde die Hündin fünf Tage in der Woche zur „Gesprächstherapie“

ins „Hundeinternat“ geschickt. Ohne ihre Menschen. „Hat ein Hund verstanden,

worum es geht, kann der Besitzer viel ruhiger mit ihm arbeiten“, begründet

Heidi Reutlinger ihre Vorgehensweise. Zur Orientierung hält sie Trainingssequenzen

auf dem Video fest. Darf der Vierbeiner übers Wochenende nach Hause, bekommt

der Halter zudem Verhaltensempfehlungen mit.
Am Montag geht´s dann zurück in die „Grundschule“, die je nach Problemlage

drei bis vier Wochen dauert. Um eine „mentale Leine zu dem Vierbeiner zu knüpfen“,

nimmt die Hundetrainerin nur zwei Hunde gleichzeitig auf. So hat sie stets ein Tier

im Schlepptau, während das andere seine Ruhe- und Spielphasen hat.

 

Friedliches Spiel statt Rauferei

Meist handelt es sich bei dem Zweittier um einen Hund aus dem Tierheim,

der nicht mehr vermittelbar ist. Hat sich nach der Therapie ein Platz gefunden,

wird von ihr ehrenamtlich ein neuer übernommen. Trotz der individuellen Betreuung

sind Heidi Reutlingers Therapiestunden nicht teuerer als andernorts, da sie sich

überwiegend durch ihr Hunde- und Katzenhotel finanziert.
Als Birgit Koszielski in der zweiten Woche mit zum Unterricht kam, traute sie

ihren Augen kaum. Ihre Nora tummelte sich friedlich mit Heidi Reutlingers

Vierbeinern im Freigelände.

„Früher hätte es ein Blutbad gegeben“, erzählt die glückliche Hundebesitzerin.

Die vierbeinigenCo-Therapeuten, die speziell für die Arbeit mit aggressiven Hunden

ausgebildet wurden, hatten ganze Arbeit geleistet.
Nun musste Nora den normalen „zwischenhundlichen“ Umgang auch im Beisein ihres

Frauchens und daheim in früheren Konfliktsituationen lernen. Die vierjährige Hündin

lernte schnell. „Bereits nach dem ersten Ausbildungsblock übertrug sich ihr neues

Verhalten Hunden gegenüber auch auf Menschen“, begeistert sich Birgit Koszielski.

„Zwar gibt es immer noch Menschen und Hunde, die sie nicht auf Anhieb mag, oft

reicht aber schon ein Nein, um sie zu beruhigen.“ Nora braucht endlich keinen

Maulkorb mehr, und das Gassigehen verläuft ohne Stress.

 

Wieder Freude am Hund

Selbst der Tierarztbesuch ist kein Problem. Bisher konnte Nora nämlich weder

untersucht noch geimpft werden. „Jetzt ließ sie sich Fieber messen und ihre

verletzte Pfote behandeln“, freut sich ihr Frauchen. „Natürlich bekam ich keinen

anderen Hund zurück, und ich muss konsequent bleiben. Doch heute habe ich

wieder Freude an meiner Nora.“
Ganz ähnlich erging es Bettina und Andreas Sawall. Zwar kam ihre Anka mit

Menschen prächtig aus, doch sie mussten um andere Hunde einen Bogen machen:

„Das nervte schrecklich.“ Obwohl sie keine Wunder erwartete, schickte Bettina Sawall

die achtjährige Hündin für zwei verlängerte Wochenenden in Therapie. „Bereits nach

dem ersten Mal kam Anka mit den Therapiehunden klar. Nach dem zweiten reagierte

sie auch auf fremde Hunde nicht mehr“, erzählt Bettina Sawall begeistert. „Uns wurde

klar, dass der Fehler bei uns lag. Wir haben Anka zu sehr ihren Willen gelassen.

Sobald ein anderer Hund auf uns zukam, haben wir nur mehr auf ihn und Anka geachtet.

Seit wir uns nur noch auf die Leinenführigkeit konzentrieren, reagiert sie völlig anders.

Statt andere Hunde zu meiden, suchen wir jetzt sogar den Kontakt, um zu üben.“
Besondere Sorgenkinder im „Trainingslager“ waren Carlos und Jette.

Das Ordnungsamt hatte die Jagdhunde bei Heidi Reutlinger untergebracht.

Tagelang hatten sie neben den Leichen ihrer durch ein Gewaltverbrechen ums Leben

gekommenen Besitzer ausgeharrt. „Sie haben wohl früher schon viel Gewalt erlebt“,

vermutet die Therapeutin. „Ihr aggressives Verhalten war ihnen anscheinend

jahrelang antrainiert worden. Daher mussten sie als Erstes lernen, dass dieses

Verhalten kein Lob hervorruft.“ Mittlerweile sind Carlos und Jette äußerst

menschenbezogen und liebebedürftig. Trotzdem fürchtet die Hundeexpertin,

dass ihr Leben im Tierheim enden wird. „Wer nimmt schon Hunde mit zehn

und zwölf Jahren?“, bedauert sie. „Da müsste schon ein kleines Wunder

passieren.“

Von Saskia Brixner

              

 

 

Heidi Reutlinger gibt Birgit
Koszielski Ratschläge für den
Umgang mit Nora

Gemeinsam mit der Therapeutin
lernen Nora und ihre Besitzerin

mit Situationen, die früher zu

Konflikten führten,

anders umzugehen

 

Trauriges Los: Weil Nora un- kontrolliert auf Menschen und Hunde losging, war sie nur mehr mit Maulkorb unter Kontrolle zu halten

Heute braucht Nora keinen

Maulkorb mehr. Natürlich will

Birgit Koszielski weiterhin mit ihr und Heidi Reutlinger üben.

Bettina und Andreas Sawall mit

ihrer Anka, Heidi Reutlinger

und einem ihrer "Co-Trainer"

Trotz Therapie-Erfolg finden

Carlos und Jette kein Zuhause